Sie erwachte, als jemand an ihrem Bein zog.
Es war seltsam so zu erwachen, von dem Ruck, der sie ein paar Meter über den Boden schleifte. Sie hörte den keuchenden Atem eines Mannes, fühlte die Hände an ihrem rechten Fußknöchel und wieder wurde sie ein Stück über den Boden gezerrt.
Warum war sie nicht tot?
Sie bewegte sich und wünschte sich im gleichen Augenblick, sie wäre wirklich tot. Schmerz explodierte in ihrem Schädel und ließ die Welt seltsam grau und leer werden, ehe sich ihr Blick wieder klärte und sie die über ihrem Kopf erhobene Schaufel sah, die wohl beenden sollte, was ein anderer begonnen hatte.
Kira rollte sich zur Seite und die Schaufel krachte ein paar Zentimeter neben ihr auf den Boden.
Sie robbte auf dem Hosenboden, unter Zuhilfenahme der Abstoßkraft ihrer Beine, zurück und starrte den Mann an, der ihr eben das Lebenslicht hatte löschen wollen.
Er trug einen grauen Mantel, der vermutlich in einem früheren Leben einmal weiß gewesen war, jetzt aber die schmutzige Tönung hatte, die fast alles auf Bajor aufzuweisen schien.
Sein Gesicht war von vielen Falten gezeichnet und seine Augen waren voller Schrecken. Kira konnte es ihm nicht verdenken, sie sah die Grube, die er ausgehoben hatte und zu der er sie hatte ziehen wollen. Ein Grab, der Mann hatte sie begraben wollen. Eine seltsame Geste, in dieser verlorenen Welt, wo überall Leichen eines erbarmungslosen Krieges herumlagen.
Er hatte wohl gedacht sie sei tot und es war beängstigend, wenn eine vermeintliche Leiche sich wieder zu regen begann. Kira konnte es ihm nicht verübeln, dass er versucht hatte, mit der Schaufel nachzuhelfen.
“Ich bin nicht tot.” Kira hob die Hände, in einer abwehrenden, und wie sie hoffe, auch ihre friedfertigen Absichten beweisenden, Geste.
“Das sehe ich jetzt auch.” Die Stimme des alten Mannes klang auf merkwürdige Weise vertraut, war aber rau und klang wie zerbrochenes Glas.
“Meine Augen sind nicht mehr so gut.” Er drehte sich um und blickte über die Straßenzüge, wo überall verstreut Tote lagen. “Leider sind sie manchmal noch zu gut, ich wünschte, ich müsste das alles nicht sehen.”
Kira bemerkte wieder, während sie sich an den schmerzenden Kopf fasste und mürrisch das Blut an ihren Fingern betrachtete, dass ihr etwas an dem alten Mann merkwürdig bekannt vorkam. Etwas an ihm brachte eine Saite in ihr zu klingen.
Sie erhob sich mühsam und ging zu dem alten Mann. Das Alter hatte ihn gebeugt, aber er war sicher einst ein großer Mann gewesen, ehe sich sein Rückgrat gebeugt hatte. In seinem faltigen Gesicht war ihr im ersten Moment nicht aufgefallen, dass er kein Bajoraner war. Seiner Nase fehlten die typischen Kerben.
Sie blickte in seine Augen und sie schienen sich im gleichen Augenblick zu erkennen.
Kira konnte seine Reaktion auf das Wiedererkennen gut verstehen. Der alte Mann verdrehte die Augen und sank bewusstlos auf dem Boden zusammen, ein paar Augenblicke wünschte sie fast, sie könnte seinem Beispiel folgen.
* * * * *
“Das ist nicht möglich.” Der alte Mann, den Kira noch aus einer Zeit kannte, wo sein Rücken straff gewesen war, seine Augen klar und sein Gesicht nur von wenigen Falten gezeichnet, wiederholte diese Worte seit mehreren Minuten.
Kira hatte mit Hilfe eines Tuches, das er ihr gegeben hatte, und ein paar Schlucke Wasser aus seiner Feldflasche zumindest das meiste Blut aus ihrem Gesicht gewaschen und tastete mit zusammengebissenen Zähnen über die lange Kerbe an ihrer Schläfe.
War es Glück gewesen, dass der Widerstandskämpfer nicht besser gezielt hatte, oder waren die Propheten am Werk gewesen? Und warum war dies überhaupt möglich gewesen? Sie befand sich auf Bajor, im Tempel der Träne der Prophezeiung und es hätte kein Blut geben dürfen, es hätte gar nicht sein dürfen, dass jemand sie sah.
Doch konnte sie sich anmaßen, die Macht der Propheten zu kennen?
Sie blickte wieder den alten Mann an und versuchte seine Erscheinung mit dem Mann, den sie kannte, in Einklang zu bringen. Ihr Verstand sträubte sich davor es gelingen zu lassen, aber sie konnte sich vor der Wahrheit nicht verschließen.
Der alte Mann, dessen Rücken gebeugt war und der mit einer Schaufel versuchte Tote in einem Meer von Toten zu begraben, war niemand anderes als Benjamin Sisko.
Einst Captain Sisko, in einem anderen Leben.
Endlich verstummte der alte Mann und zögernd streckte er die Hand aus um Kiras Gesicht zu berühren.
“So jung, waren wir einmal wirklich so jung?”
Kira wusste darauf keine Antwort, sie fühlte sich allerdings nicht jung, im Moment fühlte sie sich uralt und voller Angst und Verzweiflung.
“Was ist geschehen, Captain?” Kira fiel es nicht leicht, diesen alten Mann mit seinem spärlichen, weißen Haarkranz und den weißen Stoppeln, in seinem vom Alter und Kummer zerstörten Gesicht, so zu nennen, aber sie wollte seine Erinnerungen damit beschwören.
Sisko blickte von Kira zu der umgestürzten Statue.
“Du bist tot, Nerys. Schon seit langen Jahren. Bist du hier, um mich zu holen?” Seine Stimme zitterte ein wenig, aber es schien mehr Sehnsucht in seinen Worten zu liegen, als Angst.
“Nein, ich bin hier um vielleicht alles zu ändern, Benjamin.” Kira sah keinen Sinn mehr darin ihn länger Captain zu nennen.
Ein Lächeln stahl sich auf die Lippen des alten Mannes, so als habe er schon lange seinen Namen nicht mehr gehört, was vielleicht sogar der Wahrheit entsprach.
“Das wäre gut, Nerys, es gibt so vieles, was ich falsch gemacht habe, was wir falsch gemacht haben.” Er deutete zu der Statue. “Auch das war ein Fehler.”
Kira schauderte, wenn sie die Statue betrachtete. Sie hätte nie gedacht, dass einst ihr Abbild auf Bajor stehen würde. Und schon gar nicht, dass diese Statue in den Staub getrampelt worden und mit dem Wort Verräterin beschmiert worden war. War sie eine Verräterin gewesen?
“Was ist geschehen, Ben?” Kira wollte endlich Antworten. Antworten warum es zu dieser schrecklichen Zukunft gekommen war, und in wie weit sie dabei eine Rolle gespielt hatte.
Der alte Mann schüttelte den Kopf. “Wo sollte ich da beginnen? Es ist so viel passiert, Nerys. Soviel Dinge, die falsch waren, aber einem damals als einzige Möglichkeit erschienen. Wir waren so von uns überzeugt, so davon überzeugt, dass wir die Guten sind. So überzeugt, dass es nur eine Möglichkeit gibt, die den Krieg zu gewinnen.”
Kira runzelte die Stirn und ignorierte den pochenden Schmerz in ihrer Schläfe, der darauf folgte.
“Aber das war die einzige Möglichkeit, wir mussten kämpfen und siegen, es ging um unsere Freiheit. Es gab keine Alternativen zu diesem Krieg, außer sich zu ergeben und vom Dominion unterdrückt zu werden.”
Sie blickte Sisko an. “Es lohnt sich für die Freiheit zu kämpfen, es ist der einzige Weg.”
Sisko lächelte, das Lächeln eines alten Mannes, der zu viel gesehen hatte, zu viel erlebt hatte. “Nein.” Es war nur ein Wort, aber es erschütterte Kira zutiefst.
“Nein?” Sie schüttelte den Kopf. “Wie kannst du das sagen, Ben?”
“Wir haben Fehler gemacht, in diesem Krieg und wir haben Fehler zuvor gemacht. Wir waren nicht wirklich die Guten, Nerys.”
Kira schüttelte den Kopf und fragte sich, ob der alte Mann den Verstand verloren hatte.
“Ich kenne im Gegensatz zu dir das Resultat dieses Krieges, Nerys. Wir sitzen mitten in dem Resultat!” Er deutete mit einer Geste um sich, zu all den Toten, zu den geschwärzten Häusern und abgestorbenen Bäumen.
“Wir haben den Krieg verloren?”
Sisko schüttelte den Kopf. “Wir haben gegen das Dominion gewonnen, Nerys. Wir haben unseren Sieg gefeiert und haben gedacht, das Leben könne weitergehen wie bisher. Aber es ging nicht weiter wie bisher. Weil wir nicht mehr die gleichen waren wie zuvor. Der Krieg hat uns allen den Stempel aufgedrückt, er hat uns verändert und er hat die Gesellschaft verändert.”
Sisko blickte auf den Boden und als er wieder aufsah, waren in seinen Augen Tränen. “Er hat uns korrumpiert dieser Krieg, er hat uns verwandelt. Er hat Mörder aus uns gemacht, Diebe und schlimmeres und das konnte man nicht mehr umkehren.”
Er schüttelte erneut den Kopf. “Ich habe Mord gebilligt, um die Romulaner auf unsere Seite zu ziehen, ich habe den Tod von Zigtausenden Romulaner dafür gebilligt, um zu siegen. Für das Hauptquartier, für mich, für uns alle gab es nur noch den einzigen Gedanken, zu siegen. Wir haben gekämpft um zu siegen. Eine Niederlage wäre das Ende der Freiheit, das war unser Argument, mit dem wir alles rechtfertigten. Alles, Nerys.”
Kira schüttelte leicht den Kopf. “Was hätten wir sonst tun sollen, Ben? Das Dominion hat uns angegriffen, wir konnten uns doch nicht einfach fügen, uns nicht einfach versklaven lassen.”
Sisko schenkte Kira ein mitleidiges Lächeln. “Das haben wir uns eingeredet, Nerys. Wir wollten nicht die Bösen sein, und so haben wir uns die Wahrheit zurechtgebogen. Wir waren es, die diesen Krieg begannen.”
Jetzt war sich Kira sicher, dass Sisko den Verstand verloren hatte. Sie hatten niemals diesen Krieg begonnen.
“Denk einmal darüber nach, Nerys. Schieb diese ganzen Lügen, die wir uns selbst erzählt haben, die wir so gerne glauben wollten, zur Seite. Die Wahrheit tut weh, aber sie bleibt die Wahrheit. Wir waren so versessen darauf als Forscher tätig zu sein. Wir haben das Wurmloch benutzt und sind in den Gamma-Quadranten eingedrungen. Wir haben niemanden um Erlaubnis gefragt, wir waren ja Forscher.” Sarkasmus fand in seinem letzten Wort seinen Niederschlag.
Er blickte Kira zwingend an. “Wir haben unter dem Deckmantel der Forschung das Territorium des Dominions verletzt, wir haben es weiterhin getan, selbst als wir wussten, dass sie dies nicht billigen. Was anderes war unsere Weigerung ihre Grenzen zu akzeptieren, als eine Kriegserklärung?”
Kira schüttelte den Kopf, sie wollte nicht über diese Worte nachdenken.
“Was taten wir anderes, als jede Invasionsmacht? Wir haben ihre Grenzen nicht akzeptiert, wir haben gegen ihren Willen ihr Territorium betreten, wir haben sie bespitzelt und dann haben wir uns gewundert, als sie auf uns aufmerksam wurden. Als sie ihrerseits ihre Flotte in unseren Quadranten schickten.”
“Wir kamen im Frieden.” Kira blickte Sisko an, der auf ihre Worte hin lachte, aber es war ein kaltes Lachen.
“Oh Nerys, wie viele Kriege haben so begonnen? Kamen nicht auch einst die Cardassianer mit diesen Worten? Wollten nicht auch sie nur Frieden für Bajor?”
Kira fühlte einen kalten Eissplitter in ihrem Herzen, Siskos Worte waren nicht von der Hand zu weisen. Sie ergaben einen Sinn, einen verrückten Sinn, oder besser gesagt, es machte sie verrückt darüber nachzudenken.
Man konnte nur Krieg führen, wenn man überzeugt war, dass man auf der richtigen Seite kämpfte. Allerdings, galt das nicht auch für den Feind? Hatte Sisko Recht?
“Was geschah nachdem das Dominion besiegt war, danach hätte alles doch gut werden müssen.”
Sisko schüttelte den Kopf. “Man kann nicht jahrelang Krieg führen, ohne dass es einen verändert. Wir führten noch dazu einen Krieg der uns alle rasch stark veränderte, Ideale starben in diesem Krieg schnell. Erst wurde ein Gesetz gebeugt, dann ein weiteres, dann wurde ein Recht außer Kraft gesetzt, dann ein anderes. Von den Gesetzen der Föderation blieben nach diesem Krieg nur noch leere Worthülsen übrig. Papier ist geduldig, dass war es schon immer. Wir hatten gesiegt, wir drangen in den Gamma-Quadranten ein und sorgten dafür, dass wir nie wieder angegriffen werden würden, zumindest nicht vom Dominion.”
Sisko schüttelte erneut den Kopf, als er weitere schmerzhafte Blicke in die Vergangenheit warf.
“Es brach alles auseinander. Die Klingonen und Romulaner stritten sich um das Territorium der besiegten Cardassianer und verlangten von der Föderation sich für eine Seite zu entscheiden. Sie zogen uns mit in den Krieg und wir kannten zu dem Zeitpunkt eben nichts anderes mehr als Krieg. Das Hauptquartier analysierte welche Seite für uns von Vorteil wäre und verbündete sich mit den Romulanern. Plötzlich standen wir im Krieg gegen unsere einstigen Freunde.
Wir brauchten nun dringend Verbündete und Bajor trat der Föderation bei, allerdings gegen den erheblichen Widerstand großer Bevölkerungsteile. Wieder ging es darum den Krieg zu gewinnen und wir gewannen ihn auch.
An dem Tag, an dem ich erfuhr, dass Worf und General Martok im Gefecht gegen Sternenflottenschiffe gefallen waren, reichte ich meinen Abschied ein und zog mich nach Bajor zurück. Ich wollte Frieden finden.” Ein trockenes, hartes Lachen brachte Siskos alten Körper zum Erzittern.
“Ich hätte keinen schlechteren Ort wählen können.” Sisko versank nach diesen Worten in ein brütendes Schweigen, während er einen Blick in seine ganz spezielle Hölle warf.
“Was geschah mit Bajor?” Kira fragte ihn sanft danach, aber drängend, sie hatte ein Recht zu erfahren, was mit ihrer Welt geschehen war.
“Der Widerstand gegen die Föderation begann sich auszubreiten, also schickte man Truppen nach Bajor, um diesen unter Kontrolle zu halten.”
Kira erstarrte. “Eine Besatzungsmacht?”
Sisko nickte betrübt. “Im Grunde - ja. Inzwischen waren wir auch mit den Romulaner im Krieg, sie haben uns überfallen, nachdem die Klingonen vernichtet waren. Unsere Ressourcen wurden in diesem Krieg mehr und mehr aufgezehrt und wir verloren viele Welten an die Romulaner. Es blieb nicht viel übrig, nach dem Friedensvertrag. Deshalb war es so wichtig, dass wir die Welten halten, die uns gehörten. So dachte zumindest das Hauptquartier der Föderation. Deshalb schickten sie Truppen nach Bajor.”
“Und wir Bajoraner begannen uns zu wehren.” Kira stellte sich dieses Szenario vor und fragte sich dumpf, was wohl aus Shakaar geworden war. Sie wagte es nicht Sisko zu fragen, sie wollte nicht wissen, für welche Seite er sich entschieden hatte. Sie hoffte, für die des Widerstandes, aber war dies überhaupt von Bedeutung?
Kira blickte sich um, Bajor starb.
“Und so herrscht Krieg, seit fünfzehn Jahren.” Sisko hustete matt.
“Warum bist du hier, Ben? Was hat dich hier gehalten?”
Wieder legte sich ein faltiges Lächeln um seinen Mund, ein schmerzhaftes Lächeln eines Mannes, der eine schreckliche Last trug.
“Schuld, Nerys. Ich bin hier um meine Schuld abzutragen.” Er griff nach seiner Schaufel und deutete auf das Schlachtfeld, das einmal eine schöne, blühende Stadt gewesen war. “Deshalb bin ich hier.”
Kira schwieg eine Weile, während all seine Worte durch ihren Verstand tobten, schmerzhaft und schrecklich. Dann blickte sie wieder auf, zu der umgestürzten Statue und blickte Sisko an.
“Was hat das alles mit mir zu tun, Ben? Was habe ich getan?”
Sisko berührte sie mit einer zärtlichen Geste an der Wange. “Dein Fehler war es nur ein Held zu sein, Nerys. Ein verdammter Held.”
Er deutete zu der Statue. “Sie haben dir Denkmäler errichtet und dich als große bajoranische Heldin gefeiert, solange bis alles zusammenbrach natürlich. Für den Widerstand wurdest du irgendwann die Verräterin, die mit der Föderation zusammengearbeitet hat."
Kira seufzte. „Welch eine Ironie, dass gerade der Widerstand mich zu seinem Feindbild erkoren hat.”
“Ironie des Schicksals ist eine Konstante in diesem Universum.” Sisko lachte das abgehakte Lachen eines alten Mannes, das jederzeit in einen Hustenanfall übergehen konnte.
“Du hast einen glorreichen Selbstmord begangen, Nerys, und dich geschickt aus der Affäre gezogen, dachte ich zumindest bis heute.” Er betrachtete sie mit einem Blick, der verriet, dass er sich nicht sicher war, ob sie wirklich hier war, oder er nur den Verstand verloren hatte.
“Du bist in den Rachen des Löwen gesprungen und hast die Defiant und dich in die Luft gesprengt. Das Sternenraumschiff zerbarst in der Kettenreaktion, die der explodierende Warpkern auslöste und damit hatte das Dominion die Waffe verloren, die sie mit letzten Ressourcen entwickelt hatten. Ihre Hoffnung. Die Seuche, die die Gestaltenwandler befallen hatte, weitete sich danach schnell aus, sie hatten keine Chance mehr neue Raumschiffe dieser Art zu bauen. Als die Führung der Gründer zersplitterte, brach auch ihre Flotte auseinander. Es war danach nicht mehr schwer sie zu besiegen, es dauerte noch ein Jahr, es kostete noch eine Menge Leben, aber der entscheidende Sieg war deiner, Nerys.”
Kira blickte auf ihre Hände. Sie erinnerte sich daran, dass ihr zukünftiges Selbst mit diesen Händen den Selbstzerstörungsknopf gedrückt hatte.
“Meine Handlung hat dafür gesorgt, dass wir den Krieg gegen das Dominion gewinnen?”
Sisko nickte und legte ihr sanft eine Hand auf die Schulter. “Und dies war das Todesurteil für die Welt, die wir kannten, Nerys. Es war das Todesurteil für Bajor. Du warst nur ein Held, aber das ist das Resultat dieser Heldentat.”
Kira schüttelte den Kopf und barg ihn dann in ihre Hände. Das durfte alles nicht wahr sein, es war alles so verrückt und was sollte sie nun tun?
“Warum bist du hier, Nerys?” Siskos Stimme war ganz leise und sanft.
“Die Propheten haben mich in diesen Alptraum geschickt.” In Kiras Stimme schwang Wut mit, sie wünschte sich verzweifelt Unwissenheit.
“Du kommst aus einer Zeit bevor du das Sternenschiff des Dominions zerstörst, nicht wahr, Nerys?”
Kira nickte ohne die Hände von ihrem Gesicht zu nehmen, erst als Siskos Hand sie hart an der Schulter packte, senkte sie die Hände wieder. In Siskos altem Gesicht brannte so viel Hoffnung, dass er für ein paar Momente wieder jung wirkte, sein Rücken wieder gerade.
“Du musst die Zukunft ändern, Nerys. Deshalb bist du hier. Du hast gezeigt bekommen, was passiert, wenn wir den Krieg gewinnen.”
Kira starrte ihn an. “Und was soll ich jetzt tun? Den Krieg verlieren? Das geht nicht, wir müssen siegen, dass Dominion würde uns alle versklaven!”
Sisko hielt sie noch immer hart an der Schulter. “Genau das war unser Fehler, Nerys. Wir wollten unbedingt siegen, darüber vergaßen wir, wer wir waren! Wir vergaßen was wir waren!” Sein Blick war von brennender Intensität. “Manchmal muss man einen Krieg verlieren, um sich nicht selbst zu verlieren. Manchmal ist der Sieg die größte Niederlage. Nerys, es ist in deiner Hand, du hast die Macht, dies alles hier nicht stattfinden zu lassen.” Er machte eine ausholende Geste, die den getrübten Himmel einschloss, die geschwärzten, verlassenen Häuser, die stummen, zerstückelten, verbrannten Leichen.
“Was dann? Was dann, Benjamin? Was wäre, wenn ich es tue, oder es eben nicht tue? Wie würde Bajor unter der Herrschaft des Dominion aussehen? Was für ein Leben wäre es, unter der Sklaverei?” Wut färbte ihre Augen noch dunkler als sie schon von Natur aus waren.
Sisko wich einen Schritt zurück. “Wäre nicht alles besser als dies hier?”, fragte er leise. Dann blickte er sie wieder fester an. “Ich weiß nicht, wie diese Zukunft aussehen würde, Nerys. Die Völker des Gamma-Quadranten wirkten gesund und schienen mit der Ordnung des Dominion zurechtzukommen. Zudem waren die Gründer bereits krank, als wir in diese entscheidende Schlacht flogen. Vielleicht hätte sich das Dominion von selbst aufgelöst.”
Er schüttelte den Kopf. “Es ist auch ganz egal, Nerys. Nur eines ist wichtig, Bajor hat keine Zukunft in dieser Zeitlinie. Bajor hat keine Zukunft, wenn du als Heldin stirbst. Ich weiß nicht, wie diese andere Zukunft aussehen wird, Nerys, aber es wäre zumindest eine Zukunft!”
“Du verlangst von mir, dass ich mich ergebe, dass ich ein Feigling bin?”
Sisko lächelte leicht, aber ohne Humor. “Es war dir immer wichtig, eine Heldin zu sein, Nerys. Aber es ist manchmal einfacher ein Held zu sein, als ein Feigling. Es ist sehr viel mutiger zu leben, als zu sterben.”
“Ich soll die Schlacht verlieren.” Kira blickte ihn wie betäubt an.
Siskos braune Augen leuchteten voller Leben, Leben, das er sicher die letzten dreißig Jahre nicht mehr in dieser Intensität gefühlt hatte.
“Du sollst die Chance auf die Zukunft bewahren, Nerys.” Siskos letzte Worte begleiteten Kira bei dem langen Sturz durch die Dunkelheit zurück ans Licht.
Es war seltsam so zu erwachen, von dem Ruck, der sie ein paar Meter über den Boden schleifte. Sie hörte den keuchenden Atem eines Mannes, fühlte die Hände an ihrem rechten Fußknöchel und wieder wurde sie ein Stück über den Boden gezerrt.
Warum war sie nicht tot?
Sie bewegte sich und wünschte sich im gleichen Augenblick, sie wäre wirklich tot. Schmerz explodierte in ihrem Schädel und ließ die Welt seltsam grau und leer werden, ehe sich ihr Blick wieder klärte und sie die über ihrem Kopf erhobene Schaufel sah, die wohl beenden sollte, was ein anderer begonnen hatte.
Kira rollte sich zur Seite und die Schaufel krachte ein paar Zentimeter neben ihr auf den Boden.
Sie robbte auf dem Hosenboden, unter Zuhilfenahme der Abstoßkraft ihrer Beine, zurück und starrte den Mann an, der ihr eben das Lebenslicht hatte löschen wollen.
Er trug einen grauen Mantel, der vermutlich in einem früheren Leben einmal weiß gewesen war, jetzt aber die schmutzige Tönung hatte, die fast alles auf Bajor aufzuweisen schien.
Sein Gesicht war von vielen Falten gezeichnet und seine Augen waren voller Schrecken. Kira konnte es ihm nicht verdenken, sie sah die Grube, die er ausgehoben hatte und zu der er sie hatte ziehen wollen. Ein Grab, der Mann hatte sie begraben wollen. Eine seltsame Geste, in dieser verlorenen Welt, wo überall Leichen eines erbarmungslosen Krieges herumlagen.
Er hatte wohl gedacht sie sei tot und es war beängstigend, wenn eine vermeintliche Leiche sich wieder zu regen begann. Kira konnte es ihm nicht verübeln, dass er versucht hatte, mit der Schaufel nachzuhelfen.
“Ich bin nicht tot.” Kira hob die Hände, in einer abwehrenden, und wie sie hoffe, auch ihre friedfertigen Absichten beweisenden, Geste.
“Das sehe ich jetzt auch.” Die Stimme des alten Mannes klang auf merkwürdige Weise vertraut, war aber rau und klang wie zerbrochenes Glas.
“Meine Augen sind nicht mehr so gut.” Er drehte sich um und blickte über die Straßenzüge, wo überall verstreut Tote lagen. “Leider sind sie manchmal noch zu gut, ich wünschte, ich müsste das alles nicht sehen.”
Kira bemerkte wieder, während sie sich an den schmerzenden Kopf fasste und mürrisch das Blut an ihren Fingern betrachtete, dass ihr etwas an dem alten Mann merkwürdig bekannt vorkam. Etwas an ihm brachte eine Saite in ihr zu klingen.
Sie erhob sich mühsam und ging zu dem alten Mann. Das Alter hatte ihn gebeugt, aber er war sicher einst ein großer Mann gewesen, ehe sich sein Rückgrat gebeugt hatte. In seinem faltigen Gesicht war ihr im ersten Moment nicht aufgefallen, dass er kein Bajoraner war. Seiner Nase fehlten die typischen Kerben.
Sie blickte in seine Augen und sie schienen sich im gleichen Augenblick zu erkennen.
Kira konnte seine Reaktion auf das Wiedererkennen gut verstehen. Der alte Mann verdrehte die Augen und sank bewusstlos auf dem Boden zusammen, ein paar Augenblicke wünschte sie fast, sie könnte seinem Beispiel folgen.
* * * * *
“Das ist nicht möglich.” Der alte Mann, den Kira noch aus einer Zeit kannte, wo sein Rücken straff gewesen war, seine Augen klar und sein Gesicht nur von wenigen Falten gezeichnet, wiederholte diese Worte seit mehreren Minuten.
Kira hatte mit Hilfe eines Tuches, das er ihr gegeben hatte, und ein paar Schlucke Wasser aus seiner Feldflasche zumindest das meiste Blut aus ihrem Gesicht gewaschen und tastete mit zusammengebissenen Zähnen über die lange Kerbe an ihrer Schläfe.
War es Glück gewesen, dass der Widerstandskämpfer nicht besser gezielt hatte, oder waren die Propheten am Werk gewesen? Und warum war dies überhaupt möglich gewesen? Sie befand sich auf Bajor, im Tempel der Träne der Prophezeiung und es hätte kein Blut geben dürfen, es hätte gar nicht sein dürfen, dass jemand sie sah.
Doch konnte sie sich anmaßen, die Macht der Propheten zu kennen?
Sie blickte wieder den alten Mann an und versuchte seine Erscheinung mit dem Mann, den sie kannte, in Einklang zu bringen. Ihr Verstand sträubte sich davor es gelingen zu lassen, aber sie konnte sich vor der Wahrheit nicht verschließen.
Der alte Mann, dessen Rücken gebeugt war und der mit einer Schaufel versuchte Tote in einem Meer von Toten zu begraben, war niemand anderes als Benjamin Sisko.
Einst Captain Sisko, in einem anderen Leben.
Endlich verstummte der alte Mann und zögernd streckte er die Hand aus um Kiras Gesicht zu berühren.
“So jung, waren wir einmal wirklich so jung?”
Kira wusste darauf keine Antwort, sie fühlte sich allerdings nicht jung, im Moment fühlte sie sich uralt und voller Angst und Verzweiflung.
“Was ist geschehen, Captain?” Kira fiel es nicht leicht, diesen alten Mann mit seinem spärlichen, weißen Haarkranz und den weißen Stoppeln, in seinem vom Alter und Kummer zerstörten Gesicht, so zu nennen, aber sie wollte seine Erinnerungen damit beschwören.
Sisko blickte von Kira zu der umgestürzten Statue.
“Du bist tot, Nerys. Schon seit langen Jahren. Bist du hier, um mich zu holen?” Seine Stimme zitterte ein wenig, aber es schien mehr Sehnsucht in seinen Worten zu liegen, als Angst.
“Nein, ich bin hier um vielleicht alles zu ändern, Benjamin.” Kira sah keinen Sinn mehr darin ihn länger Captain zu nennen.
Ein Lächeln stahl sich auf die Lippen des alten Mannes, so als habe er schon lange seinen Namen nicht mehr gehört, was vielleicht sogar der Wahrheit entsprach.
“Das wäre gut, Nerys, es gibt so vieles, was ich falsch gemacht habe, was wir falsch gemacht haben.” Er deutete zu der Statue. “Auch das war ein Fehler.”
Kira schauderte, wenn sie die Statue betrachtete. Sie hätte nie gedacht, dass einst ihr Abbild auf Bajor stehen würde. Und schon gar nicht, dass diese Statue in den Staub getrampelt worden und mit dem Wort Verräterin beschmiert worden war. War sie eine Verräterin gewesen?
“Was ist geschehen, Ben?” Kira wollte endlich Antworten. Antworten warum es zu dieser schrecklichen Zukunft gekommen war, und in wie weit sie dabei eine Rolle gespielt hatte.
Der alte Mann schüttelte den Kopf. “Wo sollte ich da beginnen? Es ist so viel passiert, Nerys. Soviel Dinge, die falsch waren, aber einem damals als einzige Möglichkeit erschienen. Wir waren so von uns überzeugt, so davon überzeugt, dass wir die Guten sind. So überzeugt, dass es nur eine Möglichkeit gibt, die den Krieg zu gewinnen.”
Kira runzelte die Stirn und ignorierte den pochenden Schmerz in ihrer Schläfe, der darauf folgte.
“Aber das war die einzige Möglichkeit, wir mussten kämpfen und siegen, es ging um unsere Freiheit. Es gab keine Alternativen zu diesem Krieg, außer sich zu ergeben und vom Dominion unterdrückt zu werden.”
Sie blickte Sisko an. “Es lohnt sich für die Freiheit zu kämpfen, es ist der einzige Weg.”
Sisko lächelte, das Lächeln eines alten Mannes, der zu viel gesehen hatte, zu viel erlebt hatte. “Nein.” Es war nur ein Wort, aber es erschütterte Kira zutiefst.
“Nein?” Sie schüttelte den Kopf. “Wie kannst du das sagen, Ben?”
“Wir haben Fehler gemacht, in diesem Krieg und wir haben Fehler zuvor gemacht. Wir waren nicht wirklich die Guten, Nerys.”
Kira schüttelte den Kopf und fragte sich, ob der alte Mann den Verstand verloren hatte.
“Ich kenne im Gegensatz zu dir das Resultat dieses Krieges, Nerys. Wir sitzen mitten in dem Resultat!” Er deutete mit einer Geste um sich, zu all den Toten, zu den geschwärzten Häusern und abgestorbenen Bäumen.
“Wir haben den Krieg verloren?”
Sisko schüttelte den Kopf. “Wir haben gegen das Dominion gewonnen, Nerys. Wir haben unseren Sieg gefeiert und haben gedacht, das Leben könne weitergehen wie bisher. Aber es ging nicht weiter wie bisher. Weil wir nicht mehr die gleichen waren wie zuvor. Der Krieg hat uns allen den Stempel aufgedrückt, er hat uns verändert und er hat die Gesellschaft verändert.”
Sisko blickte auf den Boden und als er wieder aufsah, waren in seinen Augen Tränen. “Er hat uns korrumpiert dieser Krieg, er hat uns verwandelt. Er hat Mörder aus uns gemacht, Diebe und schlimmeres und das konnte man nicht mehr umkehren.”
Er schüttelte erneut den Kopf. “Ich habe Mord gebilligt, um die Romulaner auf unsere Seite zu ziehen, ich habe den Tod von Zigtausenden Romulaner dafür gebilligt, um zu siegen. Für das Hauptquartier, für mich, für uns alle gab es nur noch den einzigen Gedanken, zu siegen. Wir haben gekämpft um zu siegen. Eine Niederlage wäre das Ende der Freiheit, das war unser Argument, mit dem wir alles rechtfertigten. Alles, Nerys.”
Kira schüttelte leicht den Kopf. “Was hätten wir sonst tun sollen, Ben? Das Dominion hat uns angegriffen, wir konnten uns doch nicht einfach fügen, uns nicht einfach versklaven lassen.”
Sisko schenkte Kira ein mitleidiges Lächeln. “Das haben wir uns eingeredet, Nerys. Wir wollten nicht die Bösen sein, und so haben wir uns die Wahrheit zurechtgebogen. Wir waren es, die diesen Krieg begannen.”
Jetzt war sich Kira sicher, dass Sisko den Verstand verloren hatte. Sie hatten niemals diesen Krieg begonnen.
“Denk einmal darüber nach, Nerys. Schieb diese ganzen Lügen, die wir uns selbst erzählt haben, die wir so gerne glauben wollten, zur Seite. Die Wahrheit tut weh, aber sie bleibt die Wahrheit. Wir waren so versessen darauf als Forscher tätig zu sein. Wir haben das Wurmloch benutzt und sind in den Gamma-Quadranten eingedrungen. Wir haben niemanden um Erlaubnis gefragt, wir waren ja Forscher.” Sarkasmus fand in seinem letzten Wort seinen Niederschlag.
Er blickte Kira zwingend an. “Wir haben unter dem Deckmantel der Forschung das Territorium des Dominions verletzt, wir haben es weiterhin getan, selbst als wir wussten, dass sie dies nicht billigen. Was anderes war unsere Weigerung ihre Grenzen zu akzeptieren, als eine Kriegserklärung?”
Kira schüttelte den Kopf, sie wollte nicht über diese Worte nachdenken.
“Was taten wir anderes, als jede Invasionsmacht? Wir haben ihre Grenzen nicht akzeptiert, wir haben gegen ihren Willen ihr Territorium betreten, wir haben sie bespitzelt und dann haben wir uns gewundert, als sie auf uns aufmerksam wurden. Als sie ihrerseits ihre Flotte in unseren Quadranten schickten.”
“Wir kamen im Frieden.” Kira blickte Sisko an, der auf ihre Worte hin lachte, aber es war ein kaltes Lachen.
“Oh Nerys, wie viele Kriege haben so begonnen? Kamen nicht auch einst die Cardassianer mit diesen Worten? Wollten nicht auch sie nur Frieden für Bajor?”
Kira fühlte einen kalten Eissplitter in ihrem Herzen, Siskos Worte waren nicht von der Hand zu weisen. Sie ergaben einen Sinn, einen verrückten Sinn, oder besser gesagt, es machte sie verrückt darüber nachzudenken.
Man konnte nur Krieg führen, wenn man überzeugt war, dass man auf der richtigen Seite kämpfte. Allerdings, galt das nicht auch für den Feind? Hatte Sisko Recht?
“Was geschah nachdem das Dominion besiegt war, danach hätte alles doch gut werden müssen.”
Sisko schüttelte den Kopf. “Man kann nicht jahrelang Krieg führen, ohne dass es einen verändert. Wir führten noch dazu einen Krieg der uns alle rasch stark veränderte, Ideale starben in diesem Krieg schnell. Erst wurde ein Gesetz gebeugt, dann ein weiteres, dann wurde ein Recht außer Kraft gesetzt, dann ein anderes. Von den Gesetzen der Föderation blieben nach diesem Krieg nur noch leere Worthülsen übrig. Papier ist geduldig, dass war es schon immer. Wir hatten gesiegt, wir drangen in den Gamma-Quadranten ein und sorgten dafür, dass wir nie wieder angegriffen werden würden, zumindest nicht vom Dominion.”
Sisko schüttelte erneut den Kopf, als er weitere schmerzhafte Blicke in die Vergangenheit warf.
“Es brach alles auseinander. Die Klingonen und Romulaner stritten sich um das Territorium der besiegten Cardassianer und verlangten von der Föderation sich für eine Seite zu entscheiden. Sie zogen uns mit in den Krieg und wir kannten zu dem Zeitpunkt eben nichts anderes mehr als Krieg. Das Hauptquartier analysierte welche Seite für uns von Vorteil wäre und verbündete sich mit den Romulanern. Plötzlich standen wir im Krieg gegen unsere einstigen Freunde.
Wir brauchten nun dringend Verbündete und Bajor trat der Föderation bei, allerdings gegen den erheblichen Widerstand großer Bevölkerungsteile. Wieder ging es darum den Krieg zu gewinnen und wir gewannen ihn auch.
An dem Tag, an dem ich erfuhr, dass Worf und General Martok im Gefecht gegen Sternenflottenschiffe gefallen waren, reichte ich meinen Abschied ein und zog mich nach Bajor zurück. Ich wollte Frieden finden.” Ein trockenes, hartes Lachen brachte Siskos alten Körper zum Erzittern.
“Ich hätte keinen schlechteren Ort wählen können.” Sisko versank nach diesen Worten in ein brütendes Schweigen, während er einen Blick in seine ganz spezielle Hölle warf.
“Was geschah mit Bajor?” Kira fragte ihn sanft danach, aber drängend, sie hatte ein Recht zu erfahren, was mit ihrer Welt geschehen war.
“Der Widerstand gegen die Föderation begann sich auszubreiten, also schickte man Truppen nach Bajor, um diesen unter Kontrolle zu halten.”
Kira erstarrte. “Eine Besatzungsmacht?”
Sisko nickte betrübt. “Im Grunde - ja. Inzwischen waren wir auch mit den Romulaner im Krieg, sie haben uns überfallen, nachdem die Klingonen vernichtet waren. Unsere Ressourcen wurden in diesem Krieg mehr und mehr aufgezehrt und wir verloren viele Welten an die Romulaner. Es blieb nicht viel übrig, nach dem Friedensvertrag. Deshalb war es so wichtig, dass wir die Welten halten, die uns gehörten. So dachte zumindest das Hauptquartier der Föderation. Deshalb schickten sie Truppen nach Bajor.”
“Und wir Bajoraner begannen uns zu wehren.” Kira stellte sich dieses Szenario vor und fragte sich dumpf, was wohl aus Shakaar geworden war. Sie wagte es nicht Sisko zu fragen, sie wollte nicht wissen, für welche Seite er sich entschieden hatte. Sie hoffte, für die des Widerstandes, aber war dies überhaupt von Bedeutung?
Kira blickte sich um, Bajor starb.
“Und so herrscht Krieg, seit fünfzehn Jahren.” Sisko hustete matt.
“Warum bist du hier, Ben? Was hat dich hier gehalten?”
Wieder legte sich ein faltiges Lächeln um seinen Mund, ein schmerzhaftes Lächeln eines Mannes, der eine schreckliche Last trug.
“Schuld, Nerys. Ich bin hier um meine Schuld abzutragen.” Er griff nach seiner Schaufel und deutete auf das Schlachtfeld, das einmal eine schöne, blühende Stadt gewesen war. “Deshalb bin ich hier.”
Kira schwieg eine Weile, während all seine Worte durch ihren Verstand tobten, schmerzhaft und schrecklich. Dann blickte sie wieder auf, zu der umgestürzten Statue und blickte Sisko an.
“Was hat das alles mit mir zu tun, Ben? Was habe ich getan?”
Sisko berührte sie mit einer zärtlichen Geste an der Wange. “Dein Fehler war es nur ein Held zu sein, Nerys. Ein verdammter Held.”
Er deutete zu der Statue. “Sie haben dir Denkmäler errichtet und dich als große bajoranische Heldin gefeiert, solange bis alles zusammenbrach natürlich. Für den Widerstand wurdest du irgendwann die Verräterin, die mit der Föderation zusammengearbeitet hat."
Kira seufzte. „Welch eine Ironie, dass gerade der Widerstand mich zu seinem Feindbild erkoren hat.”
“Ironie des Schicksals ist eine Konstante in diesem Universum.” Sisko lachte das abgehakte Lachen eines alten Mannes, das jederzeit in einen Hustenanfall übergehen konnte.
“Du hast einen glorreichen Selbstmord begangen, Nerys, und dich geschickt aus der Affäre gezogen, dachte ich zumindest bis heute.” Er betrachtete sie mit einem Blick, der verriet, dass er sich nicht sicher war, ob sie wirklich hier war, oder er nur den Verstand verloren hatte.
“Du bist in den Rachen des Löwen gesprungen und hast die Defiant und dich in die Luft gesprengt. Das Sternenraumschiff zerbarst in der Kettenreaktion, die der explodierende Warpkern auslöste und damit hatte das Dominion die Waffe verloren, die sie mit letzten Ressourcen entwickelt hatten. Ihre Hoffnung. Die Seuche, die die Gestaltenwandler befallen hatte, weitete sich danach schnell aus, sie hatten keine Chance mehr neue Raumschiffe dieser Art zu bauen. Als die Führung der Gründer zersplitterte, brach auch ihre Flotte auseinander. Es war danach nicht mehr schwer sie zu besiegen, es dauerte noch ein Jahr, es kostete noch eine Menge Leben, aber der entscheidende Sieg war deiner, Nerys.”
Kira blickte auf ihre Hände. Sie erinnerte sich daran, dass ihr zukünftiges Selbst mit diesen Händen den Selbstzerstörungsknopf gedrückt hatte.
“Meine Handlung hat dafür gesorgt, dass wir den Krieg gegen das Dominion gewinnen?”
Sisko nickte und legte ihr sanft eine Hand auf die Schulter. “Und dies war das Todesurteil für die Welt, die wir kannten, Nerys. Es war das Todesurteil für Bajor. Du warst nur ein Held, aber das ist das Resultat dieser Heldentat.”
Kira schüttelte den Kopf und barg ihn dann in ihre Hände. Das durfte alles nicht wahr sein, es war alles so verrückt und was sollte sie nun tun?
“Warum bist du hier, Nerys?” Siskos Stimme war ganz leise und sanft.
“Die Propheten haben mich in diesen Alptraum geschickt.” In Kiras Stimme schwang Wut mit, sie wünschte sich verzweifelt Unwissenheit.
“Du kommst aus einer Zeit bevor du das Sternenschiff des Dominions zerstörst, nicht wahr, Nerys?”
Kira nickte ohne die Hände von ihrem Gesicht zu nehmen, erst als Siskos Hand sie hart an der Schulter packte, senkte sie die Hände wieder. In Siskos altem Gesicht brannte so viel Hoffnung, dass er für ein paar Momente wieder jung wirkte, sein Rücken wieder gerade.
“Du musst die Zukunft ändern, Nerys. Deshalb bist du hier. Du hast gezeigt bekommen, was passiert, wenn wir den Krieg gewinnen.”
Kira starrte ihn an. “Und was soll ich jetzt tun? Den Krieg verlieren? Das geht nicht, wir müssen siegen, dass Dominion würde uns alle versklaven!”
Sisko hielt sie noch immer hart an der Schulter. “Genau das war unser Fehler, Nerys. Wir wollten unbedingt siegen, darüber vergaßen wir, wer wir waren! Wir vergaßen was wir waren!” Sein Blick war von brennender Intensität. “Manchmal muss man einen Krieg verlieren, um sich nicht selbst zu verlieren. Manchmal ist der Sieg die größte Niederlage. Nerys, es ist in deiner Hand, du hast die Macht, dies alles hier nicht stattfinden zu lassen.” Er machte eine ausholende Geste, die den getrübten Himmel einschloss, die geschwärzten, verlassenen Häuser, die stummen, zerstückelten, verbrannten Leichen.
“Was dann? Was dann, Benjamin? Was wäre, wenn ich es tue, oder es eben nicht tue? Wie würde Bajor unter der Herrschaft des Dominion aussehen? Was für ein Leben wäre es, unter der Sklaverei?” Wut färbte ihre Augen noch dunkler als sie schon von Natur aus waren.
Sisko wich einen Schritt zurück. “Wäre nicht alles besser als dies hier?”, fragte er leise. Dann blickte er sie wieder fester an. “Ich weiß nicht, wie diese Zukunft aussehen würde, Nerys. Die Völker des Gamma-Quadranten wirkten gesund und schienen mit der Ordnung des Dominion zurechtzukommen. Zudem waren die Gründer bereits krank, als wir in diese entscheidende Schlacht flogen. Vielleicht hätte sich das Dominion von selbst aufgelöst.”
Er schüttelte den Kopf. “Es ist auch ganz egal, Nerys. Nur eines ist wichtig, Bajor hat keine Zukunft in dieser Zeitlinie. Bajor hat keine Zukunft, wenn du als Heldin stirbst. Ich weiß nicht, wie diese andere Zukunft aussehen wird, Nerys, aber es wäre zumindest eine Zukunft!”
“Du verlangst von mir, dass ich mich ergebe, dass ich ein Feigling bin?”
Sisko lächelte leicht, aber ohne Humor. “Es war dir immer wichtig, eine Heldin zu sein, Nerys. Aber es ist manchmal einfacher ein Held zu sein, als ein Feigling. Es ist sehr viel mutiger zu leben, als zu sterben.”
“Ich soll die Schlacht verlieren.” Kira blickte ihn wie betäubt an.
Siskos braune Augen leuchteten voller Leben, Leben, das er sicher die letzten dreißig Jahre nicht mehr in dieser Intensität gefühlt hatte.
“Du sollst die Chance auf die Zukunft bewahren, Nerys.” Siskos letzte Worte begleiteten Kira bei dem langen Sturz durch die Dunkelheit zurück ans Licht.
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